Waldbaden auf dem Friedhof

Waldbaden ist „in“, aber mehr als ein Modetrend. In Japan zum Beispiel ist es als „Shinrin Yoku“ sogar eine anerkannte und festgelegte Behandlungsmethode für vielerlei Krankheiten. Wohltuend ist ein Bad in der Natur in jedem Fall und es geht ganz besonders gut in der besonderen Atmosphäre eines Friedhofs.

Waldbaden? Wie soll man bitte schön in einem Wald baden; vor allem, wenn dort noch nicht mal ein Fluss ist? Das könnte sich fragen, wer den Begriff das erste Mal hört. Die wörtliche Übersetzung des ursprünglich aus Fernost stammenden Begriffs „Shinrin Yoku“ macht es klarer: Gemeint ist das „Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes“ und zwar mit allen menschlichen Sinnen in die Geräusche und Gerüche, in das Licht und die Blätterfarben. In Japan, Korea oder China wird es als Waldtherapie gezielt eingesetzt von speziell dafür ausgebildeten Fachkräften durchgeführt. Ein bisschen vergleichbar vielleicht mit Ergotherapie, Therapeutischem Reiten oder auch Kneippschen Anwendungen.  

Auch bei uns kann man sich mittlerweile an Volkshochschulen oder auch privaten Akademien  fortbilden und zertifizieren lassen, um dann andere beim Waldbaden anzuleiten; ebenso kann man dort angeleitete Waldbadenkurse und – wochenenden buchen. Einheitlich definiert ist das Waldbaden hierzulande allerdings noch nicht.

Aber es wirkt. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Waldbadende könnten erwarten, dass Blutdruck und Pulsfrequenz abnehmen, der Stresshormonpegel sinkt, die Anspannung abnimmt und die Laune steigt. Das Immunsystem wird gestärkt; das vegetative Nervensystem ausgeglichen, was sich zum Beispiel auf Verdauung und andere Stoffwechselvorgänge positiv auswirkt. All das tut gut, es wirkt vorbeugend gegen Zivilisationskrankheiten von Depressionen bis Diabetes und kann auch bei akuter Krankheit das Allgemeinbefinden deutlich verbessern. Wie eine Tablette oder Operation bei schweren Diagnosen hilft Waldbaden allerdings nicht.

Das ist keine schlechte Nachricht. Denn so braucht es auch keinen Beipackzettel oder einen Waldbademeister, der genau anleitet, was und wie zu tun ist. Man kann also nichts falschmachen, sondern einfach auch per Selbstmedikation Bäume und Natur auf sich wirken lassen.

Friedhöfe, üppig bewachsen mit Bäumen, Sträuchern und Blumen, voller Vogelgezwitscher und Schmetterlinge, bieten eine besonders einladende Umgebung für die heilsamen Praktiken des Waldbadens. Die spezielle Atmosphäre dort macht alles noch ein bisschen intensiver, finde ich. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart. Inmitten der Gräber und Gedenksteine wird einem die Endlichkeit des Lebens bewusst, aber gleichzeitig auch die Kontinuität des Lebenszyklus und die Schönheit der Natur. Es ist ein Ort, an dem man innehalten und über das Leben nachdenken kann, an dem man Trost und Hoffnung findet. Auch ohne Bäume.

Mit ist es noch besser.

Allerdings ist Waldbaden – Friedhofsbaden – mehr als einfach nur spazieren zu gehen. Die besondere Wirkung liegt an der Kombination mit Entspannungstechniken. Das Zusammenspiel von der Weite der Natur und dem Fokus auf das Hier und Jetzt, schafft den Abstand vom Alltag.

Lust, es mal auszuprobieren?

Geht ein paar Minuten eine Strecke über euren Friedhof, sucht einen Platz, an dem ihr euch ganz intuitiv wohlfühlt. Das kann eine Lichtung sein, eine Bank, ein moosbewachsener Grabstein. Ein alter Baum ist natürlich ideal. Setzt, liegt, stellt euch in, wie es bequem ist. Konzentriert euch zunächst auf den Kontakt zum Boden oder zur Natur; und dann auf die Atmung: Bis fünf zählen und dabei tief einatmen, den Atem halten und bis fünf zählen, dann beim Bis-fünf-zählen tief ausatmen, ebenfalls auf fünf halten. Dann beginnt alles von vorne. Der ruhige, tiefe Atem signalisiert dem gestressten Geist, dass alles gut ist. Was übrigens auch der Hauptgrund ist, dass Rauchen so beruhigend ist. Sobald der Geist sich beruhigt hat, signalisiert er dem Körper, dass er sich entspannen kann; was wiederum den Geist noch ruhiger macht. In einer Art positiver Spirale wird so die Entspannung immer intensiver. Oder: die 5-4-3-2-1-Übung. Dafür konzentriert man sich auf fünf Dinge, die ihr an eurem Platz sehen könnt. Dann auf vier Dinge, die ihr fühlen könnt. Dann auf drei Geräusche. Auf zwei Gerüche. Und zum Schluss auf eine Sache, die man dort schmecken könnte. Das klappt nicht immer. Aber das macht nichts.

Ideal ist es, wenn dieser Platz ein Lieblingsplatz wird. Mit dem wir sozusagen Freundschaft schließen, den wir regelmäßig aufsuchen und an den wir uns gewöhnen, Geist und Körper. Die Entspannung kommt dann immer schneller und leichter. Wenn man ein Foto von diesem Platz auf dem Smartphone hat, kann man den Ort auch im hektischen Alltag als kleinen Ankerplatz nutzen, um kreisende Gedanken zu beruhigen. Mit ein bisschen Gewohnheit kann man sich so sehr schnell aus stärkstem Stress herausholen. Wenn im Briefkasten mal wieder schlechte Post liegt; wenn sich schlimme Nachrichten von Amokläufen, Kriegen und Klimakrisen mal wieder zu überschlagen scheinen; wenn Konflikte in der Familie ausweglos scheinen. Sich in oder mit Hilfe der Natur wieder zu sammeln ist übrigens kein Verdrängen oder oberflächliche Ablenkung. Sondern hilft, statt zu verzweifeln oder auszubrennen, mental stark zu bleiben und die Herausforderungen zu bewältigen und für andere da sein zu können.

Friedhöfe sind besondere Orte.

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