Danke, liebe Kastanien-Miniermotte

Ich meine das nicht ironisch, sondern ernst. Den Kastanienbäumen schadet die Motte nicht ernsthaft, auch der Kastanienproduktion nicht.

Aber ich lese fast täglich im Herbst, in einer Zeitung oder in einem Post, wie schrecklich das alles ist, die Kastanien, die Miniermotten und überhaupt.

Für mein Buch „Friede den Maulwürfen“ durfte ich ein Interview mit einer Motte führen,

Lest hier selbst, was sie zu sagen hat:

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Was war das für eine Aufregung, um die Jahrtausendwende. „Killer-Motten bedrohen unsere Biergärten“ hieß es in Euren Medien und ich war Chefsache im Umweltministerium. Es gab Aktionen a la „Rettet unsere Kastanien – Motten stoppen – Blätter sammeln“, Schulklassen wurden zum Kastanienblättersammeln abgeordnet, ganze Straßenzüge trafen sich wochenends zum gemeinsamen Laubauflesen, Pärchen fanden sich, Nachbarn zerstritten sich.   Und das obwohl, da waren sich die meisten Fachleute bald relativ einig, die Kastanien durch die Motten im Großen und Ganzen nur optisch und nicht physisch geschädigt werden. Das Laub wird halt schon ab Juli braun und fällt ein paar Wochen früher als sonst. Ein ästhetisches Problem – vor allem für die Biergärten. Allerdings hat so manche ohnehin gestresste Kastanie – in der Stadt haben sie wenig Platz, dann die Abgase, Zigarettenkippen, Streusalz und so weiter – durch uns dann noch mal richtig einen mitgekriegt.

Damals war man überzeugt, dass zukünftige Generationen keine blühenden Kastanienalleen erleben würden, nicht unter ihren grünen Blättern Bier trinken und keine Kastanienmännchen mehr basteln könnten. Aber zum Glück ist das nicht passiert. Es gibt mich noch und die Kastanien gibt es auch noch. Was soll auch passieren? Ich bin nur ein kleiner Schmetterling, unscheinbar grünbraun mit knapp acht Millimeter Flügelspannweite. Wir legen unsere Eier in die Kastanienblätter, und der Nachwuchs dreht dann im Blatt seine Runden und frisst es stellenweise auf. Wie kleine Minenarbeiter und deswegen heißen wir auch Minierer. An diesen Stellen vergilbt das ausgehöhlte Blatt. Das haben wir uns übrigens nicht alleine ausgedacht, das machen ganz viele Insekten, Schmetterlingen, Fliegen und Käfer. Jeder hat da seine Lieblingspflanzen und sein eigenes Miniermuster. Oft sieht es sogar sehr hübsch aus, sehr ornamental wie mit Euren Glitzerstiften verziert. Die Minier-Community ist bei Parasiten und anderen Insektenfressern sehr begehrt, denn so im Blatt eingeschlossen, sind die Larven eine leichte Beute. Oft kommt nur ein Viertel und weniger von uns durch.

Aber wir waren auf einmal, neu im Revier, wir kommen wie die Kastanien ursprünglich vom warmen Balkan und erst die Klimaerwärmung macht es möglich, dass wir uns auch in Mitteleuropa wohlfühlen.

Keiner hatte uns auf dem Zettel, ein Fest, kann ich Ihnen sagen. Goldene Zeiten. Das ist mittlerweile doch anders geworden, seufz. Erzwespen, Schlupfwespen, Pilze, Fledermäuse, Meisen und andere Vögel warten nur darauf, dass unsere kleinen Larven aus dem Ei schlüpfen. Darüber freuen sich manche Leute sogar noch. Hurra, Insektenfutter für die Vögel. Als wären die was Besseres als wir. Drei Generationen kriegen wir durch bis zum Herbst, die letzten im Herbst verpuppen sich und überwintern im Laub. Deswegen wird landauf, landab empfohlen, das Kastanienlaub ratzekahl einzusammeln. Am besten zu verbrennen. Zum Glück sind die meisten Leute zu faul dafür. Zum Glück für uns, aber auch für viele andere Arten. Laub ist ja nicht nur das Winterquartier für meine Mottenkinder. Sondern wird auch von so vielen anderen Tieren bewohnt. Käfer, Spinnen, Tausendfüßer, Asseln, auch Kröten und Eidechsen, Schnecken, Puppe oder Larve oder Raupen oder Eier.

In meinem Buch „Friede den Maulwürfen“ kommt nicht nur die Miniermotte zu Wort. Auch der Maulwurf, die Schnecken und Zecken, Giersch, Disteln und alle möglichen anderen Arten, die uns im Garten und am Balkon auf die Nerven gehen können. In diesem Buch habe ich mich auf die Suche gemacht nach den guten Seiten der Bösen im Garten und dabei Erstaunliches, Wissenswertes und viel Nützliches entdeckt. Die schädlichen Tier- und Pflanzenarten sind nicht von Natur aus böse, alle haben ihre Rolle im Ökosystem. Diese Erkenntnisse machen die Plagegeister nicht in jedem Fall sympathischer, aber es hilft, besser mit ihnen umzugehen. Statt »Schädlinge« und »Unkräuter« rabiat mit allen Mitteln zu bekämpfen, ist es viel effizienter, ökologischer und besser für den eigenen Seelenfrieden, die Bösewichte zu verstehen und passende Umgangsweisen zu entwickeln. Mit diesem Buch bleibt das grüne Paradies auch in Zukunft eine giftfreie und entmilitarisierte Zone. Die Plagegeister werden nicht ausgerottet, aber sie nerven auch nicht mehr.

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